Leo Jogiches (17.7.1867-3.1919) ist in der heutigen Linken beinahe vergessen. Allenfalls erinnert man sich seiner als engen Mitarbeiter (und Liebhaber) Rosa Luxemburgs, das wird seiner Bedeutung als begabtem Organisator und Strategen der Arbeiterbewegungen Deutschlands, Polens und Russlands jedoch nicht annährend gerecht.
Jogiches (bekanntestes Pseudonym: Tyszka) wurde am 17. Juli 1867 in einer bürgerlichen jüdischen Familie in Wilna geboren. Ab 1885 war er in der russisch/polnisch/jüdischen Arbeiterbewegung aktiv, die auch bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs sein Haupt-Aktionsfeld blieb, sodass Karl Radek feststellte: »Das Leben Leo Jogiches […] gehörte dem polnischen Proletariat.«1 1894 gehörte er aus dem Züricher Exil zu den Begründern der SDKPiL (Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens). Hier gehörte er mit Rosa Luxemburg zu den wichtigsten Akteuren und war besonders für sein (konspiratives) Organisationsgeschick bekannt. Wenn auch selbst wenig schriftstellerisch tätig, beeinflusste und schärfte er durch pointierte Kritik und Redaktion die Positionen Rosa Luxemburgs und anderer. Im Nachgang der Revolution von 1905 wurde er in Warschau verhaftet und zu acht Jahren Zwangsarbeit verurteilt, konnte jedoch 1907 nach Deutschland fliehen. Im selben Jahr wurde er ins ZK der SDAPR gewählt (zu der die SDKPiL 1906 als Organisation beigetreten war). Zunächst meist auf Seiten der Bolschewiki, befand er sich später in verschiedenen Fragen im Widerspruch zu Lenin, geriet aber als Exilant auch immer mehr in Konflikt mit den polnischen Sozialdemokraten vor Ort.
1914 positionierte sich Jogiches als überzeugter Internationalist selbstverständlich gegen den Krieg und wurde zum eigentlichen Organisator der Gruppe Internationale (dem späteren Spartakusbund), die er nach den Verhaftungen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auch anführte. Hier widersetzte er sich vehement einer Abspaltung von der Sozialdemokratie. Dieser Kurs scheiterte Ende 1918 als u.a. gegen die Stimme Jogiches die KPD (für die er mit Rosa Luxemburg und anderen den Namen »Sozialistische Partei« bevorzugt hätte) gegründet wurde. Nichtsdestotrotz wurde er in die Zentrale der neuen Partei gewählt und nach der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs zur wichtigsten Führungsperson. Auch enthüllte er am 12. Februar 1919 die Details ihrer Ermordung in der Roten Fahne. Während der Märzkämpfe in Berlin wurde Jogiches am 10. März nun selbst in Neukölln verhaftet, in das Untersuchungsgefängnis in Moabit gebracht, misshandelt und von der Reaktion, in Form der Kriminalwachtmeister Ernst Tamschick (ebenfalls der Mörder Heinrich Dorrenbachs) und Werner Grahn, auf dem Flur des verschlossenen Gefängnisses »auf der Flucht« erschossen. Der Mord blieb ungesühnt, ein entsprechendes Verfahren wurde eingestellt.
1Karl Radek, Rosa Luxemburg. Karl Liebknecht. Leo Jogiches, Reprint der SAV, Köln o. J. [urspr. Hamburg 1921], hier S. 43–57, Seite 44.